Axel Eggebrecht

10. Januar 1899, Leipzig – 14. Juli 1991, Hamburg

Axel Constantin August Eggebrecht, Sohn des Leipziger Arztes Ernst Eggebrecht, (Whg. Mühlgasse 8 später = Nonnenmühlgasse / am Königsplatz, im 2. WK zerstört, heute Grünfläche am Leuschnerplatz rechts stadtauswärts) wuchs in einer bürgerlich-nationalkonservativen Familie auf. Die psychisch kranke Mutter blieb ihm später nur als “ferner Schatten” am Rande seiner Jugend erinnerlich. Nach dem Abitur am Leipziger Thomasgymnasium (1917) wurde er zum Kriegsdienst an der Flandernfront einberufen. Infolge der schweren Verwundungen, die der 19-jährige Fahnenjunker im April 1918 erlitt, musste er sich in seinem Leben mehr als 20 Operationen unterziehen. Nach Kriegsende studierte er bis 1920 vier Semester Germanistik und Philosophie in Leipzig und Kiel, brach das Studium ab und begann in Bremen eine Buchhandelslehre. Axel Eggebrecht versuchte sich in verschiedenen Berufen, war u. a. als Reisender, Packer, Bücherbote in einer Verlagsbuchhandlung und als Regieassistent in der Filmproduktion tätig. Nationalistischen Gemüts, engagierte er sich zeitweise im rechtskonservativen Kreis um Ernst von Salomon und schloss sich im März 1920 mit einer Kieler Studentenkompanie den Putschisten Kapp und von Lüttwitz an.

Insbesondere die antisemitische Hetze der Rechtsradikalen liess ihn eine innere Kehrtwende vollziehen. 1920 wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei, für die er u. a. als Filmjournalist tätig war. Im April 1923 kam er erstmals nach Moskau, lernte dort auch Bucharin und Trotzki kennen. 1924 nahm er am 5. Weltkongress der III. Internationale in Moskau teil. 1925 trat er desillusioniert aus der Partei wieder aus, blieb jedoch der bürgerlich-radikalen Linken verbunden und wurde nach kurzer Tätigkeit in der Dramaturgie der Ufa Mitarbeiter der berühmten “Weltbühne” von Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky. Jakobsohn, damals Chefredakteur der “Weltbühne”, nannte er noch als 90-jähriger den “Mentor meines Lebens”. In den Jahren bis 1933 schrieb er auch für mehrere liberale Berliner Blätter, war Filmkritiker beim “Berliner Tagblatt”, arbeitete für die (marxistische) Literaturzeitung “Das Wort” und die “Literarische Welt” von Willy Haas. Für seinen 1927 erschienenen Essayband “Katzen” erntete Axel Eggebrecht Lobeshymnen von Tucholsky. Zwei Jahre später veröffentlichte er “Leben einer Prinzessin”, seinen ersten Roman, der als Vorabdruck in der “Vossischen Zeitung” veröffentlicht wurde. In jener Zeit begann er auch, Filmdrehbücher zu schreiben. 1928 entstanden “Die Republik der Backfische” und “Der Kampf der Tertia”.

Sein radikaldemokratisches Eintreten gegen die Nationalsozialisten, getragen von einem “durch nichts zu erschütternden Optimismus”, wie er ihn später in seiner Autobiographie zum “Grundzug meines Wesens” erhob, brachte ihn für einige Monate ins Konzentrationslager Hainewalde. Bis 1935 hatte er Schreibverbot, danach konnte er sich als Autor von Filmdrehbüchern durchschlagen. 1939 zum Beispiel wurde “Bel ami” uraufgeführt, zu dem er und Ufa-Star Willi Forst das Buch geschrieben hatten. Fünfzig Jahre später, im August 1989, klagte er vor dem Hamburger Landgericht deshalb gegen die “Taurus-Film” des Filmgrosshändlers Leo Kirch, der über Zwischenhändler alle Rechte an diesem und 28 weiteren Unterhaltungsfilmen jener Zeit erworben hatte. “Für mich war das Drehbuch-Schreiben eine Frage des Überlebens im Dritten Reich. Heute machen die Leute Millionen damit”, klagte Axel Eggebrecht (SZ 30.08.89), der nach dem Krieg auf seinen Entnazifizierungsbogen geschrieben hatte, dass er “durch die Nationalsozialisten gezwungen (wurde), viel Geld zu verdienen”.

1945 holten die Engländer Axel Eggebrecht zum Besatzungssender Radio Hamburg, wo er mit Peter von Zahn, Ernst Schnabel und anderen unbelasteten Intellektuellen den bald zum Mythos gewordenen Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) aufbaute. Bis 1949 war er dort Abteilungsleiter, sprach Kommentare, leitete Diskussionen, schrieb Features und Hörspiele. Daneben war er ab 1946 für ein Jahr Mitherausgeber der “Nordwestdeutschen Hefte”. Als Rundfunkmann der ersten Stunde und als Mitbegründer des öffentlichrechtlichen Rundfunks schlechthin geltend, verliess Axel Eggebrecht 1949 den von Intendant Grimme geleiteten Sender aus Protest gegen die zunehmende parteipolitische Einflussnahme, blieb dem Funkhaus am Rothenbaum in Hamburg jedoch weiter als freier Mitarbeiter treu. Berühmt wurden vor allem seine Kommentare und Berichte zum Auschwitz-Prozess in Frankfurt und die wöchentlichen Rundfunksendungen zu Fragen der Zeit unter der Kennung “Axel Eggebrecht spricht”. Ab 1960 war er zudem Mitautor zahlreicher Fernsehproduktionen.

Von 1963 bis 1971 widmete er dem Nachwuchs des in Norddeutscher Rundfunk (NDR) umbenannten Senders seinen “pädagogischen Eros” und leitete dessen Nachwuchsstudio. Einer seiner Schüler, Wolfgang Meisenkothen, erinnerte später an seine ständigen Warnungen vor “Verlautbarungsjournalismus” und “Hofberichterstattung” sowie davor, sich allzuschnell hinter einem “sicheren Schreibtisch” zu verstecken (Hbg. Abl. 21.07.91). Ivo Frenzel würdigte den Meister der freien Rede, dessen durch Prägnanz und Spontaneität bestimmte “spezifische Rhetorik” der heutige NDR-Hannover-Mitarbeiter Hanjo Kesting schon früher öffentlich pries, indem er an den September 1945 zurückdachte: Damals hatte Axel Eggebrecht mit “behutsamer Konsequenz”, wie es “kein Psychotherapeut besser” hätte machen können, den früheren Ufa-Schauspieler Matthias Wiemann dazu gebracht, sein Versagen in der NS-Ära offen einzugestehen (SZ 16.07.91). Axel Eggebrechts unermüdliche Appelle an die Vernunft “beruhten auf schier unerschöpflichen Lebenserfahrungen” (SPIEGEL). Seine 1975 erschienene Autobiographie “Der halbe Weg” gilt als authentisches Zeugnis ihrer Zeit, aus dem, so damals Jean Améry, “schlicht die Verhaltensweise eines anständigen Deutschen” ersichtlich geworden war.

Buch-Veröffentlichungen u. a.
“Katzen” (1927; Essays und Erzählungen), “Leben einer Prinzessin. Amor vacui” (1929; Roman), “Junge Mädchen” (1932; Erzählungen und Essays), “Weltliteratur. Ein Überblick” (1948), “Goethe. Schiller. Über das Theater. Eine Auswahl aus ihren Schriften” (1949; Hrsg.), “Volk ans Gewehr! Chronik eines Berliner Hauses 1930-34″ (1960; Roman), “Epochen der Weltliteratur” (1964), “Bangemachen gilt nicht. 28 Betrachtungen über den gesunden Menschenverstand” (1969), “Der halbe Weg. Zwischenbilanz einer Epoche” (1975; Autobiographie), “Die zornigen alten Männer. Gedanken über Deutschland seit 1945″ (1979; Hrsg.) “Das Drama der Republik. Zum Neudruck der Weltbühne. Zwei Essays von A.E. und Dietrich Pinkerneil” (1979). Für den Band “Ein anderer Rundfunk – eine andere Republik oder die Enteignung des Bürgers” (1980; hrsg. von Michael Wolf Thomas) lieferte Axel Eggebrecht den Beitrag “Wider die neuen Systemveränderer”. 1985 erschien “Meine Weltliteratur”.

Filmdrehbücher (Auswahl)
“Der Kampf der Tertia” (1928), “Fräulein Frau” (1934), “Musketier Meier III” (1935), “Wenn der Hahn kräht” (1936), “Bel ami” (1939; zus. m. Willi Forst), “Marguerite:3″ (1939), “Operette” (1940), “Dreimal Hochzeit” (1941), “Komödianten” (1941), “Wiener Blut” (1941; zus. m. Willi Forst), “Der Verlorene” (1951; zus. m. Peter Lorre u. Benno Vigny), “Rittmeister Wronski” (1954) und “Stresemann” (1956; zus. m. Ludwig Berger und Curt J. Braun).

Fernsehproduktionen
“Wer überlebt, ist schuldig” (1960), “Der Röhm-Putsch” (1967; zus. m. Inge Stolten), “In Sachen Erzberger gegen Helfferich” (1967; zus. m. Inge Stolten), “Die Weltbühne. Geschichte einer Zeitschrift 1905-1933″ (1968), “Das Fernsehauge. Wer kontrolliert das Fernsehen” (1975; Mitarbeit), “Axel Eggebrecht im Gespräch mit Hans Abich” (1984; in der Reihe “Zeugen des Jahrhunderts”), “Dann gibt es nur eins: Sag nein” (1987; Mitarbeit).

Features und Hörspiele u. a.
“Was wäre, wenn…” (1947), “Wenn wir wollen…” (1947), “Die Ameisen” (1947), “Das Jahr 1948 findet nicht statt” (1948), “Der halbe Weg” (1950), “Einer zahlt seine Schuld” (1950), “Fest der Götter” (1954), “Der Ruhm und das Geld” (1955), “Der Falschspieler” (1956), “Stalingrad – Tragödie auf Befehl” (1961). “Akte 414: Wilhelm Voigt” und “Die Weltbühne” (1968; Fernsehfeature).

Auszeichnungen
“Alexander-Zinn-Preis” (1973), Ehrensenator der Universität Hamburg (1976), “Ossietzky-Medaille” der Liga für Menschenrechte (1979), “Josef-E.- Drexel-Preis” (1981), “Gerrit-Engelke-Literaturpreis” (1983).

Mitgliedschaften
Axel Eggebrecht war seit 1965 Mitglied des P.E.N.- Zentrums Bundesrepublik Deutschland (1972 Vizepräsident), ferner ordentliches Mitglied der Freien Akademie der Künste, Hamburg, und des Verbands deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Druck und Papier.

Familie
Axel Eggebrecht war in erster Ehe mit Hermine Viviane Pavlicek verheiratet. Seine zweite Ehefrau wurde die Schauspielerin und Journalistin Inge Stolten. Bis zu seinem Tode in einem Hamburger Krankenhaus an den Folgen eines Treppensturzes lebte Eggebrecht in Hamburg. Trotz seines immensen Fleisses lebte er in relativ bescheidenen Verhältnissen; sowohl der Staat als auch “sein” Sender NDR hatten sich mit Ehrungen und grossen Preisen immer zurückgehalten.

© Munzinger-Archiv GmbH, 1991