"Naiv wäre gewesen, nach dem Anschlag auf Westergaard der Sicherheit unserer Gäste nicht absoluten Vorrang einzuräumen"

Im Interview mit dem Magazin "kreuzer" erklärt Stiftungsvorstand Stephan Seeger, wie groß die Bedrohungslage für Kurt Westergaard und andere Gäste des "Leipziger Medienkongresses" wirklich war und warum der öffentliche Disput um die Kür des dänischen Karikaturisten ein Erfolg für die Meinungs- und Pressefreiheit ist.

kreuzer: Die Medienstiftung musste sich nach dem Kongress den Vorwurf gefallen lassen, naiv an die Sache herangegangen zu sein und die Brüskierung der muslimischen Kongressteilnehmer nicht berücksichtigt zu haben. Wieso haben Sie nicht früher informiert?

Stephan Seeger: Wir machen das seit zehn Jahren und sind alles andere als blauäugig an die Sache herangegangen. Wir konnten die Gäste nicht auf elektronischem Wege informieren, ohne zu riskieren, dass Kurt Westergaard und andere Gäste gefährdet werden. Der Mann ist bedroht worden, auf ihn ist ein Mordanschlag verübt worden, er geht nur noch mit Bodyguards aus dem Haus und fährt in einem gepanzerten Jeep durch die Gegend. Da ging es nicht darum, dass jemand kommt und ihm eine Ohrfeige gibt.

kreuzer: Haben Sie vorausgesehen, dass die Preisverleihung an Westergaard die muslimischen Gäste in eine schwierige Situation bringen würde?

Stephan Seeger: Wir haben Frau Ebadi eingeladen und sie hat zugesagt, bevor wir wussten, wer Preisträger wird. Im Entscheidungsprozess hat die Jury natürlich über mögliche Reaktionen diskutiert. Sie kam zum Ergebnis, dass die Meinungs- und Pressefreiheit absoluten Vorrang haben muss und die Wahl des Preisträgers nicht von Rücksichtnahme abhängen darf. Trotzdem war uns wichtig, die muslimischen Gäste vor der öffentlichen Bekanntgabe der Preisträger zu informieren, damit sie ihre persönliche Entscheidung treffen können.

kreuzer: Wie erklären Sie sich die Reaktionen von Frau Ebadi und Herrn Ganji?

Stephan Seeger: Ich habe Frau Ebadi am Abend vor Kongressbeginn vom Flughafen abgeholt und sie darüber informiert, wer den Preis bekommt. Sie hat zunächst gelassen darauf reagiert und erzählt, sie sei Herrn Westergaard wenige Tage zuvor in Portugal begegnet. Nachts hat sie ihre Eröffnungskeynote dann nochmal umgeschrieben. Für die kritische Reaktion von ihr und Herrn Ganji haben wir vollstes Verständnis. Wir wissen um die Situation in Iran, wir wissen um das Thema "Sippenhaft". Beide sprechen ja nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihre Familienangehörigen. Warten wir mal ab, wie manche Äußerungen aussehen, wenn sich die Verhältnisse in Iran ändern.

kreuzer: Westergaard hat im September aus den Händen von Frau Merkel einen Medienpreis erhalten. Wieso war es Ihnen wichtig, ihn nochmal auszuzeichnen?

Stephan Seeger: Es ging nicht darum, Westergaard nochmal auszuzeichnen. Die Jury der Leipziger Medienstiftung hat ihn Anfang Juni gewählt. Dass er im September einen Preis in Potsdam bekommt, das konnten wir zu dem Zeitpunkt nicht wissen. Bis zur Auszeichnung in Potsdam ist er ja nur durch Angriffe gegen ihn selbst von der Öffentlichkeit beachtet worden.

kreuzer: Der Preis wurde Westergaard explizit nicht für die Karikatur, sondern für seine Beharrlichkeit verliehen. Kann man Inhalt und Person trennen?

Stephan Seeger: Wir gehen in der ganzen Diskussion ja immer eo ipso davon aus, Westergaard habe Mohammed beleidigen wollen. Westergaard ging es aber darum, auf die zu zeigen, die im Namen des Islam gewalttätig ihre Ziele verfolgen. Das hat er ausdrücken wollen, und als Karikaturist hat er das überspitzt getan. Ob die gewählte Symbolik nun glücklich war oder nicht, diese Diskussion wurde im Stiftungsrat nicht geführt. Es ging der Jury nicht um die Karikatur, sondern darum, dass Westergaard trotz Bedrohung zu seiner Meinung gestanden ist.

kreuzer: Zurzeit läuft in Deutschland eine heftige Integrationsdebatte. Einige meinen, Rücksichtnahme führe zu Selbstzensur und pochen auf Meinungsfreiheit - koste es was es wolle. Was ist mit dem Verständnis für die Werte in anderen kulturellen Kontexten?

Stephan Seeger: Ich kann nur das als Maßstab nehmen, was wir hier unter Meinungs- und Pressefreiheit verstehen. Wir sind nun mal nicht im Nahen Osten, wir sind nun mal nicht im Iran, sondern wir sind in Deutschland. Wir haben unser Verständnis von Presse- und Meinungsfreiheit in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen zäh errungen. Aus meiner ganz persönlichen Perspektive kann es nicht sein, wenn andere Kulturen, bei aller Hochachtung die ich für sie habe, von uns verlangen, dass wir uns ihren Vorstellungen von Meinungs- und Pressefreiheit anpassen, wenn das bedeutet, dass man bestimmte Dinge nicht mehr sagen darf.

kreuzer: Meinungsfreiheit ist also wichtiger als gegenseitiges Verstehen?

Stephan Seeger: Ich kann doch deutlich meine Meinung sagen, ohne den anderen in seiner Person anzugreifen! Ich kann sagen: Ich bin da anderer Auffassung. Deshalb lehne ich die andere Person doch nicht ab. Auch in Deutschland verschwindet vieles in der Konsenssoße. Wir sollten uns nicht hinstellen und sagen, wir hätten die Weisheit in Sachen Meinungsfreiheit gepachtet, wo wir selber im Alltag pausenlos aufpassen, dass wir bloß niemandem auf die Füße treten. Kaum jemand beherrscht noch das kontroverse Diskutieren, weil viele sofort beleidigt sind, statt konstruktiv in den Disput zu gehen.

kreuzer: Öffentlichkeitswirksam war die Veranstaltung ja auf jeden Fall. Aber kann der Dialog so weitergehen?

Stephan Seeger: Für das Thema, das wir diskutieren wollten, ist der Kongress unbedingt ein Erfolg gewesen. Wir haben hautnah erlebt, wie es um die Meinungsfreiheit und Befindlichkeiten bestellt ist und wie man miteinander umgeht. Und dazu gehört auch, gerade wenn man über über die Presse- und Meinungsfreiheit redet, unterschiedliche Standpunkte auszutauschen, ohne sich den Schädel einzuschlagen.

Interview: Franziska Schaaf

Wir danken dem "kreuzer" für die Genehmigung zur Veröffentlichung des Interviews auf der Website der Stiftung.