Leipziger Medienpreis 2006 an Alina Anghel, Fabrizio Gatti und Volker Lilienthal

Leipzig. Der mit insgesamt 30.000 Euro dotierte Leipziger "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien" geht 2006 zu gleichen Teilen an die moldawische Journalistin Alina Anghel, den italienischen Journalisten Fabrizio Gatti sowie den deutschen Journalisten Dr. Volker Lilienthal. Dies entschied der Stiftungsrat der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig als Jury. Die Preise werden am 27. April 2006 in Leipzig übergeben.

Der "Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien" wird zum sechsten Mal von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig verliehen. Er geht an Journalistinnen, Journalisten, Verlegerinnen und Verleger, aber auch an Medieninstitutionen, die sich mit Risikobereitschaft, persönlichem Engagement, Mut und Überzeugung für die Pressefreiheit einsetzen. Zudem soll er die Erinnerung an die von Leipzig ausgegangene friedliche Revolution in der DDR wach halten, zu deren Auslösern nicht zuletzt der Wunsch nach Presse- und Meinungsfreiheit gehörten. Diesen Aspekt symbolisiert eine bronzene Nachbildung der Säulen in der Leipziger Nikolaikirche, die die Preisträger ebenfalls erhalten. In diesem Gotteshaus hatte die Wende mit Friedensgebeten begonnen.

Alina Anghel arbeitet seit 1997 als Journalistin in Moldawien. Sie war zunächst bei der Tageszeitung "Flux" im Ressort Politik beschäftigt, ging anschließend zu "Timpul", einer Wochenzeitung. In ihren Artikeln (u. a. "Luxus im Land der Armut") aus dem Jahr 2004, die in der Wochenzeitung "Timpul" erschienen, beschrieb sie schonungslos die korrupte Elite sowie die Auswirkungen der Misswirtschaft auf das tägliche Leben der Bürger. In dem konkreten Fall ging es um einen Handel mit Autos der Marke Skoda, von denen 42 Dienstlimousinen ohne einen offiziellen Auftrag an die kommunistische Regierung geliefert wurden.

Die Korruptions-Stories von Alina Anghel brachten "Timpul" eine Klage der Regierung auf zwei Millionen US-Dollar Schadensersatz ein - mit der Folge, dass die Zeitung schließen musste. Ein Angebot der Machthaber, die Klage im Tausch gegen eine öffentliche Entschuldigung für Anghels Berichterstattung zurückzuziehen, hatte die Redaktion zuvor abgelehnt. Welchen Druck die Regierung gegenüber regimekritischen Bürgern ausübt, musste die investigativ recherchierende Journalistin am eigenen Körper erfahren: Im Juni 2004 wurde Alina Anghel nahe ihrer Wohnung niedergeschlagen, nachdem sie zuvor über Monate hinweg telefonisch bedroht worden war. Das bestätigt auch Martina Bäurle, Geschäftsführerin der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Der Übergriff fand einen Tag vor der Gerichtsverhandlung zum Schadensersatzprozess gegen "Timpul" statt.

Zwar wurden mögliche Tatverdächtige verhaftet, allerdings legte die Polizei den Vorfall als Überfall zu den Akten. Der Überfall kurz vor dem Prozess legt einen Zusammenhang nahe. Noch heute trägt Anghel Narben am Körper, wie Rubina Möhring, die Geschäftsführerin von "Reporter ohne Grenzen" in Österreich berichtet. Pressefreiheit gibt es in Moldawien nicht. Ein Großteil der Zeitungen ist vom kommunistischen Regime Woronins finanziell abhängig. Unbequeme Journalisten erhalten von den Behörden eine Informationssperre und werden in ihrer Arbeit massiv behindert.

Für ihre Arbeit erhielt Alina Anghel Anfang 2005 den "Press-Freedom" Preis von Reporter ohne Grenzen. Seit Mai 2005 ist sie Gast der "Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte", die mit der Luise-Rinser-Stiftung der Journalistin einen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Dieser Aufenthalt sollte bis Oktober dauern, allerdings kam es kurz vor der geplanten Rückkehr zu einer Verhaftungswelle in Moldawien, so dass ihr Aufenthalt in Deutschland bis Mitte Dezember verlängert wurde. Auch nach einer Rückkehr möchte sie weiterhin als Journalistin tätig sein.

Fabrizio Gatti ist ein europaweit bekannter Undercover-Rechercheur. Mit zahlreichen Reportagen und Berichten aus den Milieus der sozial Schwachen hat Gatti sich in den letzten Jahren einen Namen gemacht. Er deckte Anfang Oktober 2005 katastrophale humanitäre Zustände im italienischen Asylcamp auf der Mittelmeerinsel Lampedusa auf. Gatti gab sich als Flüchtling aus und schleuste sich unter Vorgabe einer falschen Identität in das Lager ein. Authentisch berichtete er in der angesehenen italienischen Zeitschrift "l'Espresso" von verheerenden sanitären Verhältnissen, einem hoffnungslos überfüllten Lager und Gewalt gegen Flüchtlinge.

Auch die ortsansässige Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" hält das Lager Lampedusa für vollkommen überfüllt. Alessandra Oglino, die die Kapazitäten des Camps aus den Jahren 2002 bis 2004 mindestens aus den Beschreibungen über Kollegen gut kennt, verschafft ihrer Organisation ständig einen Überblick über die ankommenden und ausgewiesenen Flüchtlinge - und kommt zum Schluss, dass im Lager doppelt so viele Menschen untergebracht sind wie offiziell behauptet. Oglino bestätigt, dass Gatti tatsächlich vor Ort war. Fakt ist auch, dass weder humanitäre Organisationen noch Parlamentarier Zugang zum Lager erhalten haben. Gattis Undercoverrecherche war der in diesem speziellen Fall einzige gangbare Weg, den Verdacht der schlimmen Zustände vor Ort zu bestätigen.

Dr. Volker Lilienthal arbeitet als Redakteur beim Evangelischen Pressedienst (epd) in Frankfurt/Main. Seit 1997 ist er stellvertretender Ressortleiter beim Brancheninformationsdienst "epd medien" und seit Anfang 2005 dessen Verantwortlicher Redakteur. Lilienthal hat unter anderem den so genannten "Schleichwerbeskandal" der ARD aufgedeckt. Mit jahrelangen, teils verdeckten Recherchen konnte er - allen Einschüchterungen zum Trotz - die illegalen Praktiken ans Licht bringen. Als im Jahre 2003 die an der Schleichwerbung maßgeblich beteiligte Agentur "H.+S." von Lilienthals Recherchen erfuhr, strengte sie einen Prozess gegen ihn an, der den epd-Redakteur fast zwei Jahre lang behinderte. Ein Urteil des Landgerichts München I untersagte es Lilienthal, seine Erkenntnisse zu veröffentlichen. Bei Zuwiderhandlung drohte ihm eine Strafe von 250.000 Euro. Erst das Oberlandesgericht München hob im Januar 2005 das Verbotsurteil auf und ließ Lilienthal weiter recherchieren. Im Juni erschien sein Report "Die Bavaria-Connection" in "epd medien" und im "journalist".

Inzwischen liegt ein Revisionsbericht der ARD vor, der die epd-Recherchen vollauf bestätigt. Die Bavaria Film, die mehrheitlich vier ARD-Sendern gehört, hatte über zehn Jahre lang Schleichwerbung zugelassen und damit gegen das Rundfunkrecht verstoßen. ARD-Programmdirektor Günter Struve sagt: "Ich habe es anfangs nicht geglaubt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das im großen Stil bei uns stattfinden könnte und nicht bemerkt würde." Fritz Pleitgen, Intendant WDR, erkennt die Leistung Lilienthals inzwischen an: Der Journalist habe "eine sehr verdienstvolle Arbeit" geleistet.

Die Preisträger wurden von dem unter anderem mit Chefredakteuren, TV-Korrespondenten und Schriftstellern besetzten Stiftungsrat nach Vorschlägen aus der nationalen und internationalen Fachwelt ausgewählt, die Recherchen zur fachlichen Eignung der nominierten Kandidaten und Kandidatinnen von Journalistik-Studierenden der Universität Leipzig unter Leitung von Prof. Dr. Michael Haller durchgeführt.

Die Ausschreibung für das Jahr 2007 läuft bereits - Fristende für Vorschläge ist der 31. Oktober 2006.


Preisträger:
2006 - Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien
2006 - Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien
2006 - Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien