Kamingespräch mit Hartwig Hochstein

Theorie trifft Praxis

Medienwissenschaft trifft Zeitung - Professor Jörg Stiehler trifft Hartwig Hochstein, LVZ-Chefredakteur.

Von Greta Taubert

Einem ungewöhnlichen Tag müsse man mit ungewöhnlichen journalistischen Mitteln begegnen. Da sind sich Hartwig Hochstein, Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, und Professor Hans-Jörg Stiehler von der Universität Leipzig einig. Ein solcher Tag war für beide der 14. April: In München wurde der deutsche Bewerbungsort für die Olympischen Spiele 2012 bestimmt. Leipzig setzte sich durch, Hochstein ließ die Verkaufszahlen seiner Zeitung in ungewohnte Höhen klettern, Stiehler steigerte seine sportlichen Euphorien. "Der einzige Patriotismus, den ich mir leiste, ist der Lokalpatriotismus", gestand Stiehler.

Unter dem Titel "Zwischen Gold und Größenwahn" diskutierten die beiden Leipziger am 23. April über die Olympia-Berichterstattung der LVZ. Ausgewogen oder einseitig? Unabhängig oder parteiisch? Realistisch oder überzogen? - Fragen an die journalistische Leitung der LVZ. "Wir haben das Gefühl der Stadt mitgemacht", sagt Hochstein rückblickend. "Selbstverständlich ohne etwas wegzulassen, ohne zu lügen, immer mit kritischer Distanz." Jedoch: Von den Umfragen zur Stimmung der Leipziger pro oder contra Olympia 2012 in ihrer Stadt habe er eher die mit dem positiveren Ergebnis gedruckt. Dem setzt auch Stiehler nichts entgegen: "Polemik wurde von der LVZ nicht mitgemacht."

Erst durch unbequeme Fragen aus dem Publikum wurde das harmonische Medien-Doppel Hochstein/Stiehler unruhig in den roten Sesseln. So fand Konrad Rüdiger die Berichterstattung der Volkszeitung gar "peinlich". "Bereits der Serientitel 'Leipzigs Weg zu Olympia' hat den Anschein vermittelt, dass die Spiele nun endgültig der Messestadt zugesprochen wurden", so der Eindruck des Studenten. Hochstein urteilte darüber aus der Perspektive eines Geschäftsmannes: "Wenn Sie eine Serie haben, müssen Sie die auch verkaufen!" Selbst wenn man damit das Ereignis inszeniert statt recherchiert? "Inszenierungen dienen der Unterhaltung!", antwortet der Chefredakteur selbstsicher.

Dass sich Hartwig Hochstein - zumindest aus geschäftlicher Sicht - für die richtige Strategie entschieden hat, beweist er anhand der gewachsenen Popularität seiner Zeitung. Der Einzelverkauf sei während der Olympia-Berichterstattung gestiegen. Auf allen Fernsehsendern sei die LVZ am Jubeltag zu sehen gewesen - hoch gehalten von den feiernden Massen. "Und das Extrablatt wurde sogar zu Schwarzmarktpreisen weiterverkauft!"

Mit der Ruhe nach dem Sturm auf dem Marktplatz fährt die LVZ ihre ungewöhnlichen journalistischen Mittel - Sonderserien, Extrablatt, verändertes Layout - nun zurück. Für die Berichterstattung auf internationaler Ebene will sich die Redaktion ein neues Konzept überlegen. "Aber der Optimismus", sagt Hochstein, "der bleibt!"